Naturhistorisches Museum in Wien, das Gebäude (Text nach SCHOLLER, 1958)
Erbaut nach Plänen von Karl von Hasenauer, Baubeginn 1871, Eröffnung am 10. August 1889 durch Kaiser Franz Joseph I.
Der im Renaissance - Stil aufgeführte Monumentalbau hat eine Länge von etwa 169 m und im Mittelteil eine größte Breite von etwa 70 m. Das Gebäude umschließt zwei rechteckige Höfe von etwa 50 m Länge und 25 m Breite. Insgesamt sind etwa 8.720 m2 verbaut. Da der Maria Theresien - Platz vom Ring zum Messeplatz ansteigt, ist die ringseitige Höhe des Baues mit zirka 27 m um etwa 2 m größer als die am anderen Ende; er ist in vier Geschosse, Tief- und Hochparterre, I. und II. Stock unterteilt. Der vorspringende Risalit des Mittelbaues ist durch eine Attika, die ein quadratisches Plateau bildet, auf eine Höhe von fast 32 m gebracht. Hier setzt dann eine gewaltige, achteckige Kuppel mit einer Höhe von etwa 33 m auf, so daß die Gesamthöhe des Gebäudes im Mitteltrakt über 64 m beträgt. Die Laterne der Kuppel trägt eine über 5 m hohe, bronzene Kolossalstatue des Sonnengottes Helios als Symbol des allbelebenden Elementes in der Natur (Johann Benk). Vier Tabernakel, welche die achteckige Basis der Kuppel mit den Ecken der quadratischen Attika verbinden, enthalten sitzende Kolossalstatuen von Hephäistos, Gäa, Poseidon und Urania (Johann Silbernagel), welche die vier Elemente der Antike symbolisieren. Die Zwickelfelder oberhalb der großen Kuppelfenster zieren Viktorien von H. Haerdtl; solche von K. Kundmann geschaffene flankieren die Fassade der Attika gegen den Maria Theresien - Platz, die die Widmung trägt: "Dem Reiche der Natur und seiner Erforschung - Kaiser Franz Joseph I. MDCCCLXXXI".
Drei hohe Tore im Mittelrisalit bilden den Eingang in das Gebäude, zu dessen Verkleidung bis zum I. Stockwerk Zogelsdorfer Kalksandstein verwendet wurde, darüber aber sehr ähnliches Material aus verschiedenen Steinbrüchen Niederösterreichs. Die Säulen beiderseits der großen Fenster des I. Stockwerkes sind aus weißem Kalkstein aus der Umgebung von Triest, in den Risaliten aus rotem Ammonitenkalk aus der gleichen Gegend. Der reiche figurale und sonstige Fassadenschmuck ist in Planung und fast unveränderter Auswahl das Werk Gottfried Sempers, der durch die Plastiken an den Wandfluchten und auf der Balustrade die geschichtliche Entwicklung der Naturerkenntnis zum Ausdruck zu bringen suchte. Angeregt durch ähnliche Vorschläge des Dresdener Professors Haehnel griff Semper den Ausspruch Alexander v. Humboldts auf, daß die Behandlungsweise der Geschichte der physischen Weltanschauung nur in der Aufzählung dessen bestehen könne, wodurch der Begriff von der Einheit der Erscheinungen sich allmählich ausgebildet habe. Es war jetzt Sempers Idee, diese Aufzählung in drei Ebenen vorzunehmen: die Skulpturen des Hochparterres sollten die Geschichte der Erfindungen symbolisieren, die die Sinne des Menschen gleichsam schärften und verfeinerten, die der Obergeschosse auf die Weltbegebenheiten hinweisen, die den Horizont der Welterkenntnis erweiterten, und schließlich die Statuen großer Männer des Wissens und Forschens auf der Balustrade das persönliche Moment im Fortschritt festhalten. Diese bildhafte Darstellung der Geschichte der Wissenschaften sollte an der Museumsecke Ring - Bellaria beginnen, der Bellaria - Front entlang und auf die Querfront zum Messeplatz greifend sich weiter auf der Hauptfront des Museums gegen den Maria Theresien - Platz fortsetzen, um schließlich auf seiner Querfront zum Burgring zu enden; ihre genaue Erläuterung wird weiter unten gegeben. Vier große Figurengruppen an den Basisecken der Mittelrisalite symbolisieren in ihren Menschentypen die Erdteile, Europa und Amerika mit Australien (beide von K. Kundmann) links und rechts vom Haupteingang, Asien und Afrika (beide von P. Wagner) gegen die Bellaria.
Die innere Dekoration
Die prächtige Ausgestaltung des Inneren des Museums, in das die drei großen Tore führen, entspricht der Prunkliebe Hasenauers. Das Vestibül ist mit einer Kuppel eingedeckt, die, in der Mitte durchbrochen, in gleicher Achse wie die Hauptkuppel des Baues liegt. Ihre acht Gewölbefelder zieren, von Josef Lax geschaffen, die Porträtmedaillons der Direktoren der alten Wiener Naturalienkabinette Johann v. Baillou, Andreas Xaverius Stütz, Carl v. Schreibers, Paul Partsch, Vincenz Kollar, Eduard Fenzl, Ferdinand v. Hochstetter (als Intendant kommissarischer Direktor des Mineralienkabinettes nach dem Abgang Gustav Tschermaks) und des berühmten Brasilienforschers Johann Natterer. Rechts führt aus dem Vestibül eine niedere Treppe zu den Schausälen im Hochparterre, in der Mitte die Hauptstiege in das I. Stockwerk; ihre Stufen bestehen aus 6m langen Monolithen aus den Marmorbrüchen von Ratschinges in Südtirol. An der Mittelwand des Treppenaufganges nimmt das von Maria Theresia 1773 gewidmete große Ölgemälde den Ehrenplatz ein, das ihren Gemahl und den Begründer der Naturaliensammlung Kaiser Franz l., Stephan von Lothringen, zeigt, umgeben von den Direktoren seiner Sammlungen; es wurde von dem besten Porträtisten seiner Zeit Franz Messmer unter Zuziehung von Jakob Kohl gemalt (nach dem Tod von Franz I). Gegenüber dem Bild, oberhalb des Stiegenaufganges, erinnert eine unscheinbare Votivtafel aus rotem Marmor an die feierliche Eröffnung des Museums durch Kaiser Franz Joseph I. am 10. August 1889. In der Höhe des I. Stockwerkes sind dann die Wände des Stiegenhauses in Bogen tragende Pfeiler aufgelöst, die auf Podesten und vor flachen Nischen in weißem Marmor die Porträt - Statuen führender Naturwissenschafter tragen, links vom Eingang Aristoteles und Johannes Kepler (beide von K. Kundmann), gegenüber dem Eingang Isaak Newton und Karl von Linné (beide unsigniert), rechts vom Eingang Abraham Gottlob Werner (K. Zumbusch) und Georg Cuvier (K. Kundmann), an der Eingangsseite selbst Jakob Berzelius und Alexander v. Humboldt (beide von R. Weyr). Den krönenden Abschluß des prunkvollen Stiegenhauses bildet schließlich das kolossale Deckengemälde Hans Canons "Der Kreislauf des Lebens", der sich visionär um die Gestalt eines sinnenden Philosophen vollzieht. Schon das Stundenglas in seiner Hand bedeutet die Vergänglichkeit alles Irdischen, durch die Weltkugel hinter der ruhenden Greisengestalt symbolisiert, dessen letzte Enträtselung unergründlich erscheint, wie die im Hintergrund lagernde Sphinx. Um diese ruhende Mitte schlingt sich der wilde Kreis des Lebens, gezeichnet durch die kraftvoll aufwärts strebenden Gestalten, die unbändigem Leben, Reichtum, Ruhm und Macht nachjagen, um schließlich doch zu unterliegen und durch die Blitze des Schicksals in den Abgrund der Verzweiflung gestürzt zu werden. In diese Apotheose des Kampfes ums Dasein, der damals das biologische Denken einseitig beherrschte, wird auch die Tierwelt einbezogen: macht der Mensch sie sich im gespeerten Wels zur Beute, so wird er anderseits die ihre, wenn im Abgrund, auf Knochen stehend, der Aasgeier wartet. Auch die 12 Lünetten im Halbgewölbe um das große Deckengemälde sind von Hans Canon geschaffen; sie symbolisieren (links vom Eingang) Induktion und Philosophie, Astronomie, Industrie, (gegenüber dem Eingang) Zoologie, Erdmagnetismus und Vulkanismus, Botanik, (rechts vom Eingang) Mineralogie, Geologie, Vergleichende Anatomie, (gegen den Eingang) Chemie, Physik und Mathematik, Tier- und Pflanzengeographie. Das Stiegenhaus mündet im I. Stockwerk in die Kuppelhalle, von der aus die Zugänge zu den Schausälen führen. Die Halle ist von einer Kuppel überdacht, die in der Achse der Gebäudekuppel liegt; ihre acht Giebelfelder zeigen je zwei Figuren als Symbole der Zoologie, Botanik, Mineralogie, Geologie, Paläontologie, Urgeschichte, Ethnographie und Anthropologie (V. Tilgner). Der Fries im großen Gebälk der Kuppel enthält Tiergestalten (Joh. Benk); auch die Zwickelfelder der großen Bogenfenster sind mit solchen und kleinen Genien (R. Weyr) ausgefüllt.
Figuraler Außenschmuck des Museums
Gottfried Semper verfolgte den Plan, durch die besondere Art der plastischen Ausschmückung der Museumsfronten die geschichtliche Entwicklung der physischen Welterkenntnis darzustellen. Dies sollte in drei Ebenen geschehen, die Skulpturen des Hochparterres die Geschichte der Erfindungen symbolisieren, die der Obergeschosse auf Ereignisse verweisen, die den Horizont der Menschheit erweiterten, die Statuen auf der Balustrade das persönliche Moment und Verdienst im Fortschritt der Erkenntnis darstellen. In diesem Sinne waren auch die Porträtköpfe über den Fenstern des 2. Stockwerkes gedacht, deren Namensschilder unterhalb der Fenster angebracht sind. So läuft also die historische Abfolge in jeder Ebene um das ganze Gebäude herum.