Zur Geschichte der Mineralogie/Kristallographie 1850-1900

Allgemeines

Physikalische Kristallographie

Geometrische Kristallographie

Chemische Kristallographie

Regionalmineralogie

Bibliographie

Die kristallographischen und auch die mineralchemischen Forschungsergebnisse ließen Mitte des 19. Jahrhunderts die Unvollkommenheit der bis dahin gültigen mineralogischen Vorstellungen deutlich werden. Die auf Haüy zurückgehende Auffassung, daß jede chemische Substanz nur in einer Kristallform auftreten kann, die sich aus einer einzigen Primitivform ableitet, erwies sich als überholt. Auch ließ sich die Mineralart - wie sich aus den erkannten entschlüsselten Mischkristallbildungen ergab - nicht in jedem Fall durch einen bestimmten Chemismus erfassen. Es wurden Übergänge zwischen den Mineralarten erkennbar, und damit wurde die Bearbeitung von Beziehungen und Zusammenhängen der Minerale untereinander zum aktuellen Forschungsthema. In den Vordergrund traten verstärkt Fragestellungen zur Mineralparagenese, um die Beziehungen zwischen den sich bildenden Mineralen und den entsprechenden Bildungsbedingungen ihrer geologischen Umgebung zu erfassen.

F. A. Breithaupt (1791-1873) entwickelte 1849 die Paragenesenlehre, in der er das gesetzmäßige, gemeinsame Auftreten verschiedener Minerale unter bestimmten Bildungsbedingungen zusammenfaßte. Damit gab er den geologischen Wissenschaften insgesamt wichtige Impulse für ihre Weiterentwicklung.

In der Mineralogie setzten sich mehr und mehr exakte Methoden durch, die auf der quantitativen Messung kristallographischer Formen sowie physikalischer Eigenschaften der Minerale und der Analyse ihres Chemismus basieren. Auf dieser Basis konnte G. Rose (1798-1873) 1852 das in seinen Grundzügen noch heute gültige "Krystallo-Chemische Mineralsystem" entwickeln. Es erlaubte die systematische Gliederung der Mineralarten entsprechend ihrer chemischen Zusammensetzung und kristallographischen Verwandtschaft. In diesem Zusammenhang ist die Entdeckung der Phasenregel (1876) durch W. Gibbs (1839-1903) von Bedeutung, mit der theoretisch vorhergesagt werden kann, wieviele Mineralphasen bei bekanntem Stoffangebot unter bestimmten Druck- und Temperaturbedingugen in einem geschlossenen System auftreten.

Der Engländer H.C. Sorby (1826-1908) führte 1858 die Methode der mikroskopischen Untersuchung von Mineral- und Gesteinsdünnschliffen im Durchlicht in die Mineralogie ein, die eine rasche Verbreitung in der Mineralogie fand und bis heute eine wichtige Untersuchungmethode für Minerale und Gesteine ist. Wesentlich verbessert wurden die Methoden zur Messung von Kristallflächen durch den Gebrauch des zweikreisigen Reflexionsgoniometers (1874), das der Engländer W.H. Miller (1801-1880) konstruiert hatte. Bereits 1839 hatte Miller die nach ihm benannte Kennzeichnung der Kristallflächen eingeführt: Millersche Indizes.

1895 entdeckte der deutsche Physiker W. C. Röntgen eine Strahlung, die von einem Kathodenstrahloszillographen ausging und schwarzes Papier durchdrang. Diese Strahlung wurde als Röntgenstrahlung bezeichnet und wird heute dazu verwendet, Kristallstrukturen zu bestimmen. Der erste Versuch, Minerale mit Röntgenstrahlung zu untersuchen, wurde 1912 von v. Laue, Friedrich und Knipping in München durchgeführt. Diese bewiesen zugleich die Wellennatur der neuentdeckten Strahlung und die periodische Anordnung der Atome, Ionen oder Moleküle im Kristall. Dies stellte die Theorie vom Kristallaufbau auf eine experimentelle Basis.

Zwischen 1880 und 1896 entdeckte der französische Chemiker H. Becquerel die Radioaktivität. Legte er ein in schwarzes Papier eingewickelte Uran-reiches Mineral auf eine Photoplatte, so konnte er eine kontinuierliche Verfärbung der Platte beobachten, die auf die ständige Abgabe radioaktiver Strahlung zurückzuführen ist. Mit dieser Entdeckung legte er den Grundstein für die Arbeiten von Marie und Pierre Curie.

Physikalische Kristallographie

Wichtige Vertreter der physikalischen Kristallographie in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts , die sich mit den physikalischen Eigenschaften der Minerale, u.a. Elastizität, Dichte, Elektrizität, beschäftigten, waren E. Mallard und T. Liebisch. Im Mittelpunkt der Arbeit von E. Mallard standen dabei die optischen Eigenschaften. Sein 1876 veröffentlichtes Werk "Explication des phénomènes optiques anomaux, que présentent un grand nombre de substances cristallisées" erklärte anormale optische Phänomene in Kristallen als Mischungen der Kristalle in Zwillingsstellung zueinander.

Parallel zu den optischen Untersuchungen arbeiteten V. von Lang in Wien (1866) und E. Jannettaz in Paris (1873) auf dem Gebiet der Wärmeleitfähigkeit in Kristallen. Zeitgleich beschäftigten sich A. Fizzeau in Frankreich (1865) und L. Fletcher in England (1880-1884) mit thermischen Ausdehnungskoeffizienten von Kristallen.

Andere Kristallographen/Mineralogen, unter ihnen G. Hankel aus Leipzig, untersuchten die elektrischen Eigenschaften der Kristalle. 1880 entdeckten J. und P. Curie, daß beim Ausüben eines Drucks entlang einer polaren Kristallachse an einem Ende eine negative Ladung und am anderen Ende eine positive Ladung erzeugt werden kann. Dieses Verhalten nennt man Piezoelektrizität.

Geometrische Kristallographie

Einer der bedeutendsten Forscher auf dem Gebiet der geometrischen Kristallographie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war der Franzose August Bravais (1811-1863). Er untersuchte, inwieweit die geometrisch möglichen Raumgitter (Molekülgitter, Atomraumgitter) in ihren Symmetrieverhältnissen mit den an Kristallen beobachteten übereinstimmen. In seiner Arbeit "Memoire s. l. systèmes formés par des points distributés régulièrement sur un plan ou dans l´espace" aus dem Jahre 1850 entwickelte er die nach ihm benannte Theorie der Raumgitter. Er wies nach, daß nur 14 Raumgittertypen für Kristalle möglich sind. In seinem Buch "Traité de Cristallographie géometrique et physique" von 1879 leitete E. Mallard aus der Bravais'schen Raumgittertheorie die Gesetze der Kristallographie ab. In Deutschland beschäftigte sich vor allem L. Sohnke mit dieser Theorie. In " Entwicklung der Theorie einer Kristallstruktur" 1879 formulierte er 65 regelmäßige Punktsysteme, mit denen er Symmetrieverhältnisse und Spaltbarkeit sowohl hoch- als auch niedrigsymmetrischer Kristalle erklären konnte. Auf diesen Arbeiten aufbauend entwickelten der russische Mineraloge F. Fedorow 1890 - der schon den Universaldrehtisch für Mikroskope entwickelt hatte - und der deutsche Mathematiker A. Schoenflies 1891 unabhängig voneinander eine allgemeine Theorie der Kristallstruktur. Beide wiesen nach, daß es bei Drehung und Spiegelung der einfachen Kristallsysteme 230 verschiedene Raumgruppen gibt. Der britische Physiker Lord Kelvin beschäftigte sich in diesem Zusammenhang mit der Theorie der dichtesten Kugelpackungen.

Chemische Kristallographie

Der Umfang chemischer Arbeiten nahm zum Ende des 19. Jahrhunderts stetig zu. 1846 veröffentlichte E. de Beaumont (1798-1874) eine erste Übersicht zur Häufigkeit der chemischen Elemente in der Erdkruste. Nicht zuletzt wurde das Wachstums- und Lösungsverhalten der Kristalle untersucht (F. Leyboldt, V. v. Ebner, F. Becke). A. Verneuil (1856-1913) synthetisierte 1890 erstmals den Rubin. Die wohl umfangreichsten Zusammenstellungen über Vorkommen und Untersuchungsergebnisse an speziellen Mineralen geben C. Hinze (1851 &endash;1916) in seinem "Handbuch der Mineralogie" und James D. Dana (1813-1895) in "A System of Mineralogy".

Entwicklung der Regionalmineralogie

Neben den außerordentlichen Leistungen zu theoretischen Problemen der Mineralogie, wurden im 19. Jahrhundert regionalmineralogische Übersichten zu einzelnen Ländern oder Gebieten erarbeitet. Darin beschrieb man in der Regel die in den einzelnen Ländern auftretenden Minerale nach ihren Eigenschaften, Formen, der Art des Vorkommens. Im Laufe der industriellen Revolution des ausgehenden 19. Jahrhunderts war die Nachfrage nach Rohstoffen groß, so daß die mineralogischen Kenntnisse nicht nur im Bergbau und Hüttenwesen sondern auch in der Landwirtschaft und in der chemischen Industrie von großer Bedeutung waren. Eine Auswahl der wichtigsten Werke ist im folgenden angegeben. Sie alle sind Ausdruck dafür, daß in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine ungeheure Menge an Beobachtungen zusammengetragen wurde, die eine Zusammenfassung der wesentlichen Einzelerkenntnisse nötig machte.

Bibliographie

Deutschland

Österreich-Ungarn

Italien

Frankreich

Spanien und Portugal

Großbritannien

Rußland

James D. Dana (1813-1895) "A System of Mineralogy".