Die Meteoritensammlung

Das Naturhistorische Museum in Wien beherbergt eine der größten Meteoritensammlungen der Welt . Mit fast 1700 verschiedenen Meteoriten liegt die Sammlung an vierter Stelle, nur übertroffen vom U.S. National Museum in Washington, D.C., und den großen Sammlungen antarktischer Meteorite in Tokio (National Institute of Polar Research) und Houston (NASA Johnson Space Center). Die Sammlung ist nicht nur groß, sondern hat auch die längste Geschichte aller Meteoritensammlungen und sie war und ist eine bedeutende Forschungsstätte.

Meteorite wurden in Wien schon gesammelt als sie noch als irdische Bildungen galten (Meteorit ~ Aerolith ~ Luftstein). Natürlich fand sich in den diversen Wunderkammern der Herrschenden immer wieder Materie, welche vom Himmel gefallen war und welche, je nach Bedarf, als Glücks- oder Unglücksbringer eingestuft wurde. Trotzdem manche Fälle von hunderten Zeugen beobachtet wurden, befand die hohe Wissenschaft, daß es sich bei dieser Materie nur um eine etwas ungewöhnliche irdische handeln könne. In dieser den Meteoriten sehr feindlich gesinnten Zeit fielen zwei Eisenmassen in Hraschina bei Agram (Zagreb, Kroatien). Der Fall ereignete sich am 26. Mai 1751, nur wenige Jahre nach dem Ankauf der Baillou'schen Naturaliensammlung durch Kaiser Franz I. (1748). Der Kaiser forderte vom bischöflichen Konsortium in Zagreb einen Bericht über den Fall an. Dieser wurde zusammen mit den Eisenstücken im Juli an den Hof geliefert. Das Hauptstück kam in die Schatzkammer von wo es bald seinen Weg in die kaiserliche Naturaliensammlung fand. Die 39 kg Eisenmasse Hraschina begründete die Wiener Meteoritensammlung.

Das Protokoll des Bischofs Klobuczezky und des Generalvikars Wolfgang Kukuljevic listet viele Zeugenaussagen zum Fall und des mit diesem verbundenen Feuerballs. Es wird später ein wichtiges Dokument für Franz Güssmann und E.F.F. Chladni sein, die mit Hilfe solcher Zeugenberichte und an Hand der mit Schmelzkruste überzogenen frisch gefallenen Meteoriten den Nachweis für deren Herkunft aus dem Weltraum erbrachten.

Der intellektuelle Nachweis hätte wohl nicht so bald gefruchtet, da trotz einer Reihe von Steinfällen die Meinung der Wissenschaft (angeführt durch die Akademie Francaise) sich nicht änderte. Erst der Steinregen von L'Aigle (26. April 1803) änderte die Situation. Das Akademiemitglied Jean Baptiste Biot erstellt einen Bericht und die Herren Thenard und Vanquelin untersuchten zusammen mit dem britischen Chemiker Howard die Steine. Seit diesem Zeitpunkt sind Meteorite tatsächlich als außerirdische Objekte anerkannt.

Die Sammlung in Wien, betreut von Abbé Stütz, bestand kurz nach diesem Zeitpunkt aus 7 Meteoriten: Hraschina (40 kg), Krasnojarsk (2.5 kg), Tabor (2.7 kg), Steinbach (1.1 kg), Eichstädt (126 g), L'Aigle (1.1 kg) und Mauerkirchen (429 g).

Der Nachfolger Stütz's, Carl v. Schreibers, interessierte sich sehr für Meteorite, studierte diese intensiv und regte viele Zeitgenossen an, Meteorite zu untersuchen. Unter anderem beschäftigte sich sein Freund Aloys von Widmanstätten , Direktor des kaiserlichen Fabriksproduktenkabinetts, mit den außerirdischen Eisen, von denen er die heute nach ihm benannten "Widmanstätten'schen Figuren" beschrieb. Schreibers und Widmanstätten arbeiteten auch mit vielen berühmten Wissenschaftern jener Zeit zusammen, um mehr über die Meteorite in Erfahrung zu bringen.

So wurden Analysen vom Chemiker Martin Heinrich Klaproth in Berlin von Proben aus Wien gemacht, die ersten chemischen Analysen von Stein- und Eisenmeteoriten. Auch Jöns Jakob Berzelius und Friedrich Wöhler konnten zur Mitarbeit gewonnen werden. Carl von Schreibers kann als Begründer der Meteoritenkunde angesehen werden und er legte das Studium der Meteorite auch gleich so an wie es bis zum heutigen Tage funktioniert: als interdisziplinäre Forschung. Alle Naturwissenschaften arbeiten bis heute eng zusammen, um die verschlüsselten Botschaften aus dem solaren Urnebel den Meteoriten zu entreißen.

Die Sammlung wuchs schnell, auch unter Schreibers' Nachfolgern Paul Partsch, Moriz Hoernes und Gustav Tschermak. Besonders Tschermak war ungemein fleißig und publizierte viele Untersuchungsberichte - und auch ein schönes Buch als Zusammenfassung seiner Beobachtungen. Auch seine Nachfolger Aristides Brezina und Friedrich Berwerth setzten die Meteoritenstudien fort. Die intensive Beschäftigung mit der Sammlung führte auch zu einem kräftigen Zuwachs an Meteoriten: Zur Jahrhundertwende befinden sich in der Sammlung über 600 verschiedene Meteorite, darunter viele Hauptstücke.

Mit dem Ersten Weltkrieg und dem Zerfall der Österreich-Ungarischen Monarchie wurden die Forschungsaktivitäten jählings gestoppt. Österreich kämpfte ums Überleben und die Kuratoren um den Erhalt des Übernommenen. Bescheidene Aktivitäten regten sich unter der Leitung von Hermann Michel, aber auch diese wurden jählings durch den Zweiten Weltkrieg unterbunden. Die Sorge galt wiederum der Erhaltung des Bestehenden. Es gelang Michel, die Sammlung praktisch vollständig in die Nachkriegszeit zu retten. Noch war sie nicht gerettet, denn die Besatzungsmächte zeigten Interesse und neuerlich mußte um die Erhaltung gekämpft werden. Hermann Michel hatte mit russischen Offizieren zu kämpfen und Hubert Scholler mußte massive Angriffe von amerikanischer Seite abwehren.

Erst die 70-er Jahre sahen wieder eine Wachstumsphase der Meteoritensammlung. Mit dem Ausbau der Laboratorien wurden auch die Sammlungen wieder lebendig. Das Einkaufsbudget erlaubte den Erwerb von ausgewählten zeitgenössischen Fällen und Funden. Eine groß angelegte Spendenaktion der "Freunde des Naturhistorischen Museums in Wien" ermöglichte, erstmals in der Geschichte der Sammlung, den Ankauf einer großen Meteoritensammlung, der "Second Huss Collection of Meteorites" aus den USA. Diese Sammlung von 125 Meteoriten, darunter viele Hauptstücke, stopfte das durch die Kriege verursachte Erwerbsloch wenigstens teilweise. Es folgten zwei weitere Sammlungen von rezenten Meteoritenfunde in der Sahara, sehr wichtige statistische Dokumente der Meteoritenfälle der vergangenen 100.000 Jahre. Darüber hinaus bergen diese Kollektionen auch eine Reihe seltener Meteoritenarten. Erst im Jahre 1997 konnte auch eine historisch wichtige Sammlung erworben werden, die Meteoritensammlung von Johann G. Neumann, dem Entdecker der nach ihm benannten "Neumann'schen Linien" im meteoritischen Kamazit.

Die Meteoritensammlung wird seit den 60-er Jahren wieder intensiv für die Forschung genutzt. Darüber hinaus wurde in den vergangenen Jahren auch der kosmische Staub umfassend erforscht. Erst zu Beginn der 90-er Jahre wurde diese Materie dank der Bemühungen von Michel Maurette (CNRS, Orsay) für die Wissenschaft verfügbar. Dieser Staub ("Mikrometeorite") repräsentiert die Hauptmasse der heute auf die Erde fallenden außerirdischen Materie. Natürlich beherbergen wir auch einige hundert dieser Objekte.